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Maos "Langer Marsch" war sein Schicksal: Der Deutsche Otto Braun erfand als Militärberater Mao Zedongs das legendäre Großunternehmen, das Chinas Kommunisten an die Macht und die Welt aus dem Gleichgewicht brachte. 30 Jahre später wurde Braun zu Maos Gegenspieler. Von Solveig Grothe
Die wohl größte Überraschung seines Lebens widerfährt Otto Braun ganz zum Schluss, an einem heißen Augusttag 1974, in seinem bulgarischen Urlaubsort Varna: Der 73-Jährige, inzwischen Bürger der DDR, stirbt eines natürlichen Todes.
Seine Vergangenheit hätte ein so friedliches Ende kaum vermuten lassen.
Spätsommer 1939, Yanan in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. In seiner Wohnhöhle im Hauptquartier der chinesischen Kommunisten wird Otto Braun unsanft geweckt. "Komm sofort zum Flugplatz", sagt der Bote, "du fliegst nach Moskau." Die Nachricht kommt nach siebeneinhalb Jahren im Reich der Mitte unerwartet für den Deutschen. Auf dem Flughafen wünscht ihm Kommunistenführer Mao Zedong eine gute Reise. Braun verabschiedet sich von seiner Frau Li Li-Ijän. Er wird sie nie wiedersehen. Als die amerikanische Douglas abhebt, hat Braun eine der dramatischsten Missionen hinter sich, die das 20. Jahrhundert zu bieten hatte.
Braun, 1900 in Ismaning bei München geboren, ist ein kräftiger, drahtiger Rotschopf, den sie in China Li De ("Li, der Deutsche") nennen. Augewachsen in einem Waisenhaus war er mit 18 Jahren noch kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs einberufen worden. Nach Kriegsende engagierte sich der glühende Kommunist für die Münchner Räterepublik und stieg in der KPD bis zum "Reichsnachrichtenleiter" auf. Mehrmals wurde er verhaftet. 1928 berichtete die deutsche Boulevardpresse von einem spektakulären Ausbruch in Wildwest-Manier aus dem Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit - Braun war getürmt und setzte sich nach Moskau ab.
Mit Parteiauftrag nach China
Dort hatte Sowjetdiktator Stalin eine ungewöhnliche Verwendung für den jungen Funktionär aus Deutschland. Die von den Sowjets dominierte kommunistische Weltorganisation Komintern schickte Otto Braun als Militärberater nach China, um die dortige Kommunistische Partei fit zu machen für den Kampf um die Macht im Riesenreich. Zuvor war der Deutsche an der Moskauer Militärakademie ausgebildet worden - über China allerdings wusste er so gut wie nichts.
Im Reich der Mitte tobte Anfang der dreißiger Jahre ein brutaler Bürgerkrieg. Der neue Anführer der nationalistischen Kuomintang-Partei, General Tschiang Kai-schek, machte Jagd auf Kommunisten, Konkurrenten im Kampf um die Vorherrschaft. Seit einem Massaker in Shanghai 1927 bestand die kommunistische Streitmacht nur noch aus einer Ansammlung von Partisanen, rekrutiert aus Bauern und Landarbeitern.
Als Tourist getarnt reiste Braun im September 1933 von Shanghai in die südchinesische Provinz Jiangxi, das zur ersten chinesischen Räterepublik erklärte Hauptgebiet der Partisanen. Braun war nicht der einzige deutsche Militärberater in China, Tschiang Kai-schek etwa beriet Hans von Seeckt, General im Ersten Weltkrieg und von 1920 bis 1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr. Doch Braun ist der einzige auf Seiten der Kommunisten.
Wagemutiger Rückzugsplan
Im April 1934 kommt es beinahe zur Katastrophe. In einer Feldschlacht erleiden die rebellen schwere Verluste, und Berater Braun fürchtet, dass Maos Bauernarmee einen weiteren offenen Kampf nicht überstehen werde. So entwickelt er einen wagemutigen Rückzugsplan, der den Ausbruch aus der Einkesselung durch Tschiang Kai-scheks Truppen ermöglichen soll. Zugleich bedeutet er allerdings, rund 20.000 Kranke, Frauen und Kinder der mörderischen Kuomintang zu überlassen. Mao zögert - dann stimmt er zu.
Rund 50.000 Kämpfer und noch einmal ebenso viele Familienangehörige setzen sich in der Nacht zum 16. Oktober 1934 in Marsch, die meisten zu Fuß - nur Mao lässt sich die meiste Zeit in einer eigens gefertigten Sänfte tragen. Bemüht, jedem Kampf auszuweichen, durchqueren sie reißende Flüsse, gefährliche Sümpfe, quälen sich über hohe Gebirgsketten. Die Marschierenden hungern, frieren, laufen irrwitzige Umwege auf Zickzackrouten und manchmal sogar im Kreis. Der "Lange Marsch", wie er bald genannt wurde, endete erst nach 370 Tagen und fast 12.000 Kilometern. An ihrem Ziel Yanan in der Provinz Shaanxi gründeten Maos Anhänger eine neue Basis. Aber nur etwa jeder Zehnte derer, die aufgebrochen waren, hatte die mörderische Tortur überlebt.
Der Lange Marsch ging als militärische Glanzleistung in die offizielle Geschichte Chinas ein und wurde zum machtvollen Gründungsmythos des kommunistischen China, gefeiert als Grundstein der Regierungsübernahme im ganzen Land aanderthalb Jahrzehnte später, am 1. Oktober 1949. Von dem Mann aus Deutschland aber, der den Anstoß zu diesem historischen Unternehmen gegeben hatte, sollte die Welt erst Jahrzehnte später erfahren.
Abwehrkampf statt Revolution?
Für Otto Braun, den Komintern-Funktionär, nämlich war der Lange Marsch ein Pyrrhussieg. Denn an der Spitze der chinesischen Kommunisten stand nun unangefochten Mao Zedong - ein Bauernsohn, der nicht daran dachte, die reine Lehre des Marxismus-Leninismus umzusetzen, ja der sie noch nicht einmal richtig kannte. Statt der Fabrikarbeiter in den Städten machte Mao die Bauern zur treibenden Kraft seiner Revolution.
Stalin und seine Komintern aber wollte keine Bauernrevolution. Sie wünschte zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Revolution, denn Stalins Doktrin sah vor, dass die chinesischen Kommunisten ihr Land zunächst gemeinsam mit der nationalistischen Kuomintang gegen die Japaner verteidigen sollten - nicht zuletzt, um Moskaus Interessen in der Mandschurei und in der Mongolei zu schützen. Braun hatte die chinesischen Genossen darum eigentlich auf den Kampf gegen die Japaner einschwören sollen.
Doch Mao strebte vor allem nach einem: der Macht für seine KP in ganz China. Rasch war es ihm gelungen, seinen Widersacher kaltzustellen. Etwa drei Monate nach dem Aufbruch zum Langen Marsch hatte Mao im Januar 1935 während einer längeren Pause in der Stadt Zunyi die politische und militärische Führung zusammenrufen lassen, um einen Militärrat und ein neues Politbüro zu wählen. Für Braun wurde die Konferenz zum Tribunal: Mao warf dem Deutschen operative und taktische Fehler vor, wertete den Rückzug gar als kampflose Flucht - und stärkte damit seine eigene Position an der Spitze von Partei und Armee. Die Führung war ihm nun nicht mehr zu nehmen, sein Aufstieg unaufhaltsam - gekrönt von der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao am 1. Oktober 1949 in Peking.
Otto Braun packt aus
Otto Braun erlebte Maos Triumph aus dem fernen Moskau. Seine Abberufung aus China 1939 hatte er mit mulmigem Gefühl hingenommen. Natürlich hatte er von Stalins großer Säuberung gehört: Er wusste, dass angebliche Feinde der Sowjetunion in sibirische Lager gesteckt oder gleich erschossen wurden. Nun schien es, als sei er, der kluge Taktiker und erfahrene Militärstratege, selbst zwischen die Fronten geraten. Wochenlang muss er nach seienr Rückkehr Fragen beantworten, Berichte schreiben, Erklärungen abgeben. Doch Braun hat Glück: Man legt man ihm lediglich nahe, über seine Erlebnisse in China zu schweigen.
Und Braun hält sich daran. Erst 1954, ein Jahr nach dem Tod Stalins und nach fast 30 Jahren im Moskauer Exil, darf Braun schließlich nach Deutschland zurückkehren, nach Ost-Berlin. Braun hofft auf einen Posten bei den "bewaffneten Organen" der DDR, doch er wird in abgeschoben: Wegen seiner exzellenten Kenntnisse "auf marxistisch-linguistischem Gebiet", so sein Parteiauftrag, wird er verantwortlicher Redakteur für die geplante 40-bändige deutsche Gesamtausgabe der Werke Lenins. Immerhin: 1961 löst Braun den Autoren Erwin Strittmatter auf dessen Posten als Erster Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes ab. Statt auf Literaturpropaganda, so sagt er zum Amtsantritt, wolle er das Schwergewicht auf eine schöpferische Literaturdiskussion legen. Viel Zeit bekommt er dafür nicht: Schon 1963 setzt ihn SED-Chef Walter Ulbricht wieder ab.
Fast genau 20 Jahre besteht Maos Volksrepublik - da erscheint 1969 in der DDR-Wochenzeitung "Horizont" ein Artikel, der sich mit scharfen Worten gegen den "Großen Vorsitzenden" richtet. Der Titel des Beitrages lautet schlicht "Von Shanghai bis Jänan". Der Autor: Otto Braun. Zum ersten Mal erfährt die Öffentlichkeit von dem Mann, der als einziger Deutscher an Maos legendärem Langen Marsch teilgenommen hatte. Was Braun berichtet, klingt wie eine Kriegserklärung an Mao Zedong. Und es ist auch so gemeint: "Diese Aufzeichnungen sind von mir als Waffe gedacht", schreibt Braun, "die der Entlarvung der maoistischen Geschichtsfälscher und dem politisch-ideologischen Kampf gegen den Maoismus dienen soll."
Eine neue Mission
Der Zeitpunkt der Attacke ist kein Zufall. Das sowjetisch-chinesische Verhältnis hat 1969 einen neuen Tiefpunkt erreicht. Am Grenzfluss Ussuri ist es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den linken Rivalen gekommen. Parallel gelingt Mao einer Annäherung an den Westen, die 1972 in dem China-Besuch von US-Präsident Richard Nixon gipfelt. Und die ideologischen Konzepte des KP-Führers, niedergelegt in der kleinen roten "Mao-Bibel", begeistern viele westeuropäische Linke - ungeachtet seines brutalen Vorgehens gegen Andersdenkende und Missliebige während der Kulturrevolution. Mao ist dem Wahn der absoluten Macht verfallen; für die Massen im eigenen Land ist er zu einer Art Halbgott geworden.
Und so hat Braun eine neue Mission: Mao die eigene Geschichte streitig zu machen. Die Veröffentlichung des zentralen Kronzeugen legt ausführlich und bis ins Detail dar, dass vieles an der offiziellen chinesischen Darstellung des Langen Marsches Mythos und Legende ist. Aus Maos Militärberater ist ein geschichtspolitischer Gegenspieler geworden, der "Maos kleinbürgerlichen Nationalismus" geißelt und bezeugt, dass sich beim chinesischen Revolutionsführer bereits in den dreißiger Jahren "Ansätze zum heutigen Großmachtchauvinismus nachweisen" ließen.
Einen Schönheitsfehler hat die Abrechnung mit dem alten Gefährten. Natürlich sind Otto Brauns späte Erinnerungen ein Auftragswerk der Partei und sollen einem politischen Zweck dienen, Moskau im ideologischen Ringen mit Peking zu punkten helfen. Warum sich der fast 70-Jährige dazu hergibt? Es gibt wohl nur eine plausible Antwort: Otto Braun ist ein kommunistischer Parteisoldat durch und durch - durchdrungen von dem Glauben, dass die Partei immer recht hat. Ein Jahr vor seinem Tod veröffentlicht er 1973 seine Memoiren unter dem Titel "Chinesische Jahre".
Über seine 15 Jahre in Moskau während der Hochzeit des Stalinismus verliert Otto Braun darin kein Wort. |
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