"Europa" ist mehr als EU und Maastricht: Der Begriff steht für dieKultur, für das gemeinsame Erbe des Abendlandes. "Europa entdecken" - so lautet das M
otto der neuen Buchreihe des Fischer-Verlages, die Herausgeber Wolfgang Benz am Montag abend in der Technischen Universitaet Berlin erstmals praesentierte. Geschichte kann Nationen zusammenführen; wird die Vergangenheit aber missbraucht, vermag sie auch Voelker zu spalten wie im früheren Jugoslawien. Alle Erfahrung, so der renommierte Historiker Benz, spreche gegen kleingeistigen Patriotismus und neue Grenzpfaehle. Damit dieses Wissen nicht abstrakt bleibt, soll in den 65 derzeit geplanten Baenden der neuen Reihe das kulturelle und politische Erbe des Kontinents einem breiten Publikum knapp und lesbar vorgestellt werden. Die ersten Baende sind gerade erschienen. Charakteristisch für jede europaeische Gesellschaft ist das Bürgertum, jene staedtische Schicht, die oekonomischen Erfolg und Bildung zum Massstab waehlte. Der Pariser Historiker Fred E. Schrader beschreibt im ersten Band der "Europaeischen Geschichte", wie die Idee der "bürgerlichen Gesellschaft" in den Wirren der Konfessionskriege nach der Reformation entstand. Zentrales Ziel sei gewesen, in künftigen Zeiten Bürgerkriege zu vermeiden. Der Sorbonne-Professor erklaert, wie das Privateigentum den Feudalismus ersetzte, wie aus der staendischen Ordnung die repraesentative Demokratie wuchs. Seine Thesen sind immer anregend und oft überzeugend, das Buch sehr lesenswert. Ein besonders komplizierter Teil der europaeischen Kultur ist das Recht: In fast allen europaeischen Staaten beruht die Justiz bis heute auf den Regeln der antiken Roemer. Der bekannte englische Rechtshistoriker Peter G. Stein schildert im zweiten Band der Reihe die "Geschichte einer Rechtskultur". Er beschreibt, wie das "roemische Recht" seit zweitausend Jahren mehrfach ganz "neu erfunden" wurde. Leider bleibt sein Band weitgehend konventionell; bewusst verzichtet der Autor auf Vorschlaege für das künftige Recht Europas. Als Information über das roemische Recht lohnt sich das Buch dennoch. Im 19. Jahrhundert entstanden erstmals "Metropolen" - ein typisch europaeisches Phaenomen, auch wenn die groessten Staedte heute in der "Dritten Welt" liegen. Clemens Zimmermann aus Heidelberg zeigt, wie die "Stadt" des Mittelalters zur "Metropole" der Moderne wurde. Dazu untersucht der Verfasser die jeweils zweitgroesste Stadt in vier Laendern: Manchester behandelt er als "klassische Industriestadt", St. Petersburg ist ein Beispiel für Metropolen vom Reissbrett, München steht für die Verbindung von Extremen: Stadt und Land, Industrie und Kultur. Barcelona schliesslich war die "Metropole des Mittelmeers". Der dritte Band der "Europaeischen Geschichte" ist erfrischend und spannend zu lesen. "Bewusst kosmopolitisch" sei die Reihe angelegt, sagte der Cheflektor von Fischer, Walter Pehle, bei der Praesentation. Die Haelfte der Autoren kommt nicht aus Deutschland; im Unterschied zur schon seit 1993 erscheinenden Konkurrenzreihe des Verlages C. H. Beck mit dem Titel "Europa bauen" sind alle Bücher eigens für die Fischer-Reihe verfasst. Die Kehrseite dieses Konzepts: Bislang erscheint die "Europaeische Geschichte" nur auf Deutsch, da es keine Kooperation mit auslaendischen Verlagen gibt, waehrend die Baende der Beck-Reihe gleichzeitig in fünf Sprachen veroeffentlicht werden. "Europa ist das Ziel", hatte vor wenigen Wochen Bundespraesident Roman Herzog bei der Eroeffnung des Historikertages in München gemahnt. Wenn das Grossprojekt "Europaeische Geschichte" in etwa zehn Jahren vollendet wird, ist der Kontinent diesem Ideal vielleicht schon viel naeher. Die neue Taschenbuchreihe von Fischer koennte dazu beitragen. Fred E. Schrader: Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft 1550 - 1850. 154 Seiten. / Peter G. Stein: Roemisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur. 224 Seiten. / Clemens Zimmermann: Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Grossstadtentwicklung. 192 Seiten. Alle Baende Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main 1996, jeweils 18,90 Mark. +++