Es gibt offenbar niemanden, der Menschen wie Adham Ali dabei hilft, sein altes und sein neues Leben miteinander zu verbinden. Den Eindruck hatte ich oft während meines Besuchs im Flüchtlingsheim. Manche, wie Adham, sind trotzdem noch voller Hoffnung. Er wolle weiter studieren – Jura, wie in Syrien.
"Ich fühle mich verloren"
Andere sind frustriert. So wie zum Beispiel Raafat Hajir, ein Palästinenser aus Syrien, 24 Jahre alt. "Was machst du so tagsüber?", frage ich ihn auf Arabisch. "Ich stehe auf, frühstücke, hänge rum, gehe ins Fitnessstudio", erzählt er mir. "Kannst du Deutsch?", frage ich auf Deutsch. Ja, sagt er, er habe am Anfang einen Kurs auf eigene Kosten besucht, aber jetzt habe er kein Geld mehr. Als Staatenloser habe er keinen Anspruch auf einen Deutschkurs, sagt er. Offenbar hat ihm noch niemand gesagt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) diese Regel gerade geändert hat. Er sagt: "Ich bin Zahnarzt und könnte arbeiten, aber was soll ich tun? Ich darf nicht!" Selbst an Schwarzarbeit habe er schon gedacht, das dann aber wieder verworfen. Er sei gefangen in einem Wartezustand.
"Was ist der Plan? Was kann ich tun, um mich zu integrieren?", fragt er mich. Deutsche Freunde, die ihm helfen könnten, habe er keine. "Wie soll ich sie auch kennenlernen? Auf der Straße einfach so ansprechen? Er kenne viele junge Männer, denen es ähnlich gehe.
Vor ein paar Monaten habe ich in meiner Kolumne schon einmal über Integration geschrieben und darüber, wie unproduktiv es ist, dass viele Flüchtlinge monatelang nicht arbeiten dürfen. Ich hatte damals einen Stufenplan für die Integration vorgeschlagen. Leider werde ich das Gefühl nicht los, dass wir auch ein halbes Jahr später noch immer auf der untersten Stufe meiner Integrationspyramide stehen.
Die Flüchtlinge sind hier, aber wir überlassen sie ihrem Schicksal. Sie sitzen in den Heimen herum, ohne etwas zu tun. Wir produzieren tausendfachen Frust. Ich frage mich: Sind solche junge Männer, ohne Perspektive im Alltag, nicht genau die richtigen Opfer für Radikale, die versprechen, ihrem Leben wieder eine Bedeutung zu geben?
Viele Flüchtlinge wissen gar nicht, was ihre Rechte und Pflichten sind in Deutschland. Kein Plan, keine Ahnung. Wo sind die Behörden hier? Warum werden diese jungen Männer alleine gelassen? Wollen wir sie nicht integrieren oder können wir das nicht? Warum reden wir ständig über sie als Menschen, die sich verweigern würden? Wenn wir sie nicht zum Teil unserer Gesellschaft machen, dann werden sie Deutschland nicht zu einem Teil ihres Lebens machen.
Fordern statt fördern
Viele Politiker verlangen von den Flüchtlingen: Integriert euch, akzeptiert unsere Werte! Manche drohen sogar: Wer Intergrationskurse verweigert, müsse sanktioniert werden und dürfe nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Auch das neue Integrationsgesetz, auf das sich die Koalition gerade geeinigt hat, soll diese Drohung enthalten. Pro Asyl nennt es deshalb ein "Desintegrationsgesetz": Es mangele nicht am Integrationswillen der Flüchtlinge, sondern an Angeboten der Bundesregierung.
Die Jungs, die ich getroffen habe, wollen Deutsch lernen, können aber nicht, weil es keine Plätze gibt. 300.000 Plätze soll es geben, 800.000 aber würden gebraucht. Der Zahnarzt darf nicht arbeiten, Adham würde gern weiter studieren.
Respektieren sie unsere Werte, akzeptieren sie Frauenrechte, das Grundgesetz und Homosexuelle? Das soll der Maßstab sein. Wie aber sollen Flüchtlinge denn in Berührung mit Deutschen kommen, wie lernen, wenn die Möglichkeiten fehlen? Wir verlangen viel, aber es mangelt an den Voraussetzungen. Wissen das die Politiker, die nun drohen? Oder wollen sie bloß von eigenen Versäumnissen ablenken?
Die Droh-Rhetorik ist gefährlich, denn sie tut so, als hätten die Anhänger von Pegida und Co recht mit ihren Vorurteilen. Tatsächlich aber wollen die meisten Flüchtlinge Deutsch lernen, arbeiten, sich integrieren. Klar, es gibt immer Ausnahmen. Aber Pauschalisierungen helfen nicht weiter. Redet mit den Flüchtlingen und nicht über Flüchtlinge.