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Massaker nach Mafia-Manier
Aus Sittensen berichtet Julia Jüttner
Entsetzen im niedersächischen Sittensen: Nach dem sechsfachen Mord in einem China-Restaurant fahndet die Polizei nach den unbekannten Tätern. Die beiden einzigen Augenzeugen können nicht helfen: Der eine liegt im Sterben, bei dem anderen handelt es sich um ein Kleinkind.
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Sittensen - Stunden nach der Bluttat liegen die sechs, zum Teil gefesselten Leichen noch immer in dem chinesischen Restaurant "Lin Yue" in der Hamburger Straße 6 im niedersächsischen Sittensen. Auf den Fensterbrettern des Restaurants stehen kleine Orangenbäumchen. In der Mitte des Lokals kann man eine kleine Brücke passieren, die sich über einen Wasserlauf biegt, in dem Fische schwimmen. Hier hat sich in der vergangenen Nacht eine Art Hinrichtung abgespielt. Sechs Asiaten wurden erschossen, einer liegt im Sterben.
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Foto: SPIEGEL TV
Video: SPIEGEL TV
Von der Straße aus ist zu sehen, dass alle in die Decke eingelassenen Halogenstrahler des modernen Lokals eingeschaltet sind. Die Beamten der Spurenermittlung untersuchen jeden Winkel, jedes Staubkorn, jede Fluse. "Wir ziehen alle Register", sagt Polizeisprecher Detlev Kaldinski. Experten des Landes- und des Bundeskriminalamtes sind angerückt, um den brutalen Mehrfachmord unter die Lupe zu nehmen.
Unter den sechs Toten soll das Ehepaar sein, das das Restaurant betrieben hat. Die Polizei hat das bislang nicht bestätigt. Die weiteren zwei toten Männer und zwei Frauen sollen zu ihren Angestellten gehört haben. Alle sechs Opfer waren Asiaten. Es gibt zwei Zeugen: einen lebensgefährlich verletzten Mann, um dessen Gesundheitszustand es "sehr schlecht" bestellt sei, so Kaldinski. Und ein etwa zwei Jahre alte Kind, es soll sich um die Tochter der Restaurantbetreiber handeln. Das Kind wird ebenso wie der 47-Jährige, dessen Ehefrau unter den Opfern ist und der um 0.30 Uhr die grausige Entdeckung machte, psychologisch betreut.
Die Bewohner Sittensens sind geschockt. Hier wohnen rund 10.000 Menschen, und zwischen Post, Schuhladen und Bäckerei gibt es heute nur ein Gesprächsthema. "Wir sind sehr betroffen", sagt Christa Senkpiel. Sie und ihr Mann Peter waren Stammgäste im "Lin Yue". Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter waren erst am Samstagabend dort essen. Das Ehepaar, das fließend Deutsch sprach, sei außerordentlich sympathisch gewesen. "Sie begrüßten uns immer persönlich mit Handschlag", sagt Peter Senkpiel.
Auch Jürgen Kogge ist entsetzt, seit er um 9.45 Uhr auf dem Weg zur Arbeit von der Bluttat erfuhr. Ihm gehört die Fahrschule im Erdgeschoss des weißen Neubaus mit den anthrazitfarbenen Fensterrahmen, einen Stock darüber zieht sich über die ganze Etage das China-Restaurant. "Für uns Nachbarn und Gäste waren das Enni und Denni", sagt Kogge über das asiatische Ehepaar. "So durften wir sie nennen, weil wir uns ihre richtigen Namen nicht merken konnten."
"Wir haben nichts gehört, keine Schüsse, keine Schreie"
Die Gaststätte, die 1997 eröffnete, galt als beliebt in dem kleinen Ort, aber auch im benachbarten Scheeßel und Umgebung. "Es ist ein gut situiertes Lokal, das von der Bevölkerung gut angenommen wurde", sagt Polizeisprecher Kaldinski. An einen Einsatz dort kann er sich nicht erinnern. Die Kollegen von der Polizei seien höchstens zum Essen ins "Lin Yue" gekommen. Eine Lichterkette schlängelt sich am Dachgiebel entlang. Direkt unter dem Dach, über dem Lokal, lebte die dreiköpfige Familie.
Die Nachbarn aus den umliegenden, gepflegten Einfamilienhäusern können nicht glauben, welche brutalen Szenen sich in dem Lokal gegenüber dem Edeka-Supermarkt abgespielt haben sollen. "Wir haben nichts gehört, keine Schüsse, keine Schreie", sagt eine Nachbarin, die ihren Sohn heute ausnahmsweise von der Schule abgeholt hat. Sie ist nicht die einzige, die Angst hat, sich auszumalen, wer hinter den Morden steckt.
Der Verdacht eines mafiaähnlichen Hintergrundes liegt nahe. "Wir ermitteln in alle Richtungen - auch was organisierte Kriminalität angeht", sagt Polizeisprecher Kaldinski und hofft auf Hinweise aus der Bevölkerung. Die Beamten suchen vor allem Zeugen, die gestern noch zu Gast im "Lin Yue" waren oder Verdächtiges bemerkt haben. "Jeder Hinweis ist wichtig", so Kaldinski.
Detaillierte Angaben darüber, wie und wo die Leichen in dem Restaurant aufgefunden wurden, will er aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht machen. "Das ist Täterwissen." Vorerst hat Kaldinski ein anderes Problem: "Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, wie wir ohne großen Blitzlichtrummel die Leichen abtransportieren können." |
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